Vor Zurück Inhalt7. Begegnungen auf TarosEiner der wesentlichsten Impulse für die Modellierung von Emotionen im Computer stammt von dem japanischen Psychologen Masanao Toda. Es handelt sich um den Entwurf eines autonomen Robotersystems, den sogenannten Fungus Eater. Masanao Toda wurde 1924 in Okagi in Japan geboren. Nach dem Schulabschluß studierte er Physik an der Kaiserlichen Universität von Tokio. Nach dem Krieg arbeitete er als Mathematik- und Physiklehrer an einer weiterführenden Schule und begann 1949 das Studium der Psychologie an der Universität von Tokio. Einige Jahre nach seinem Studienabschluß nahm er einen Lehrstuhl für Psychologie an der Universität von Hokkaido ein. Toda brachte in die experimentell ausgerichtete Psychologie einen scharfen, aus der theoretischen Physik das deduktive Denken gewöhnten, Verstand ein. Wenn er auch ausführlich experimentell arbeitete, so lautete seine Grundphilosophie doch: Schon in den 50er Jahren, der Blütezeit des Behaviorismus, konnte sich Toda mit dieser Denkrichtung nicht anfreunden. Für ihn war Verhalten stets das Resultat einer persönlichen Wahl zwischen mehreren möglichen Handlungsalternativen. Die Psyche sah er als Vermittlungsinstanz zwischen Anforderungen der Umwelt und Handlungen. Insofern war Masanao Toda schon damals eine Art Kognitivist. Behavioristisch war lediglich seine Grundannahme, daß menschliche Psyche und menschliches Verhalten Antworten auf Anforderungen der Umwelt sind. Zwischen 1961 und 1980 entwickelte Masanao Toda seine Theorie des Fungus Eater; die entsprechenden Aufsätze erschienen gesammelt in seinem Buch "Man, Robot, and Society" im Jahre 1982. 7.1. Was ist ein Fungus Eater?Das Modell des Fungus Eater resultierte aus Todas Unzufriedenheit mit der experimentellen Psychologie. Aus dieser Kritik heraus entwickelte Toda den Fungus Eater zunächst als Hauptfigur einer Experimentalsituation, in der Teilnehmer eine Art Science-Fiction-Spiel spielen. Wahrnehmung, Lernen, Denken, Verhalten und die effektive Organisation dieser Aktivitäten waren zugleich gefordert und sollten in einer besseren Experimentalsituation resultieren. Den Versuchspersonen wurde der Fungus Eater dabei wie folgt beschrieben: Was auf den ersten Blick zunächst wie ein einfaches Rollenspiel aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eine Situation, aus der ein höchst komplexes Verhalten resultiert. Man fühlt sich erinnert an die "Vehikel" von Braitenberg (1993), deren vom Beobachter als "komplex" eingeschätztes Verhalten das Resultat einiger weniger einfacher Regeln ist. Zum einen besitzt der Fungus Eater ein rudimentäres System der Aufmerksamkeitssteuerung. Wenn er genug Nährstoffe zu sich genommen hat, kann er sich ganz auf das Einsammeln von Erz konzentrieren und vice versa. Zum anderen verfügt er über ein System unterschiedlicher Ziele. Sein Auftrag lautet zwar, soviel Erz wie möglich einzusammeln; zu diesem Zweck muß er aber seinen Nährstoffvorrat immer wieder auffüllen. Diese Konstruktion kann zu Zielkonflikten führen, bei denen der Fungus Eater aufgrund unterschiedlicher Kriterien abwägen muß, ob er Erz oder Pilze einsammelt. Eine solche Entscheidungssituation ist noch relativ trivial, wenn der Fungus Eater sich zu einem gegebenen Zeitpunkt nur zwischen zwei Alternativen (Erz oder Pilze) zu entscheiden hat, wenn er sich also auf einem Punkt auf Taros befindet, von dem aus er zum Beispiel rechts ein Erzvorkommen und links ein Pilzvorkommen lokalisieren kann. Sobald jedoch weitere Faktoren wie zum Beispiel Hindernisse, wechselnde Beleuchtung (Tag/Nacht) usw. hinzukommen, muß der Fungus Eater längerfristig planen. Dies kompliziert das Modell, denn "Denken" kostet ebenfalls Energie, die somit für das Einsammeln von Erz verlorengeht. Ein weiterer Faktor, der wiederum gravierende Konsequenzen nach sich zieht, ist die Annahme, daß es auf Taros nicht einen, sondern mehrere Fungus Eater gibt. Damit sieht sich das System vor völlig neue Herausforderungen gestellt, welche die Entscheidungsprobleme des solitären Fungus-Eaters als nahezu trivial erscheinen lassen. Diese wenigen Ausführungen machen deutlich, daß bereits wenige simple Grundannahmen komplexe Planungs- und Entscheidungsprozesse produzieren können, die im Grundmodell nicht explizit formuliert sind. 7.2. Emotionale Fungus EaterIn einem weiterführenden Gedankenexperiment hat Toda darüber spekuliert, welche Konsequenzen es für sein Modell hätte, wenn der Fungus Eater über Emotionen verfügen würde. Für ihn sind Emotionen eine zwingende Voraussetzung für das Überleben eines humanoiden Roboters: Toda nennt Emotionen in seinem Modell urges. Pfeifer (1988) sieht eine Verbindung zwischen Todas urges und Frijdas concerns insofern, Toda definiert einen urge als eine eingebaute motivationale Subroutine, welche Kognition mit Handlung verknüpft. Die Bedeutung eines solchen kognitiven Elements für das aktuelle Verhalten des Fungus-Eaters wird durch zwei Variablen bestimmt: Zum einen durch in der Vergangenheit gemachte Erfahrungen, also durch Lernen; zum anderen durch den Kontext, in dem sich der Fungus Eater aktuell befindet. Diese Kontextabhängigkeit wird durch einen Mechanismus gesteuert, den Toda mood control nennt. Die mood control mit ihren zugehörigen mood-operators bestimmt die Bedeutung, die Kognitionen beigemessen wird, fungiert also als eine Art Schwellensetzung. Die Nachricht über den Tod eines anderen Fungus-Eaters durch einen Feind beispielsweise wird dazu führen, daß der Startle Urge der anderen Fungus Eater durch selbst kleinste Veränderungen in der Wahrnehmung aktiviert wird. Toda klassifiziert seine urges in vier große Gruppen: "biological urges", "emergency urges", "social urges" und "cognitive urges". 7.2.1. Die "biological urges"Biological urges haben in erster Linie zu tun mit der Erhaltung eines guten körperlichen Zustands und sind, laut Toda, voneinander relativ unabhängig. Ihre Hauptcharakteristika sind ähnlich denen der emergency urges, allerdings üblicherweise mit einem weitaus niedrigeren Erregungsniveau. Zu den biological urges zählen elementare Bedürfnisse, zum Beispiel der Hunger Urge, wobei schon hier fraglich ist, ob die Gleichsetzung von urges mit Emotionen gerechtfertigt ist. 7.2.2 Die "emergency urges"Zu den emergency urges zählt Toda
Diese drei sind nicht unabhängig voneinander, sondern stehen in enger Beziehung. Der Startle Urge wird aktiviert bei jeder Entdeckung eines unerwarteten Reizes in der Umgebung des Fungus-Eaters und führt zur Einleitung von drei parallelen Prozessen: (1) das Anhalten aller laufenden Handlungen; (2) körperliche Erregung; (3) konzentrierter kognitiver Aufwand, um die Quelle der Störung zu identifizieren. Mit anderen Worten: Der Startle Urge führt zu kognitiver Informationsverarbeitung, Aufmerksamkeitssteuerung und körperlicher Erregung. Wenn der dritte Prozess tatsächlich eine Bedrohung ausmacht, wird der Fear Urge initiiert. Hier bringt Toda zwei weitere Parameter ins Spiel: intensity und importance. Diese Konstruktion ermöglicht es dem Fungus Eater, konkurrierende urges zu haben und dem jeweils wichtigsten den Vorrang zu geben, denn der urge mit der höchsten Intensität kontrolliert das Verhalten. Falls der Fungus Eater nach dem Startle Urge keine direkte Gefahrenquelle ausmachen kann, initiiert dieser den Anxiety Urge, der gekennzeichnet ist durch eine ständige Verschiebung der Aufmerksamkeit von einer potentiellen Gefahrenquelle zur nächsten. Zu jedem urge gehört eine vordefinierte Gruppe von Handlungsanweisungen. Das Resultat der drei genannten Prozesse ist die Auswahl eines spezifischen action plan aus diesem Repertoire. 7.2.3. Die "social urges"Social urges sind wichtig für Fungus Eater, weil sie ihnen dabei helfen, ein kooperatives Sozialleben zu führen. Dabei ist wichtig zu wissen, daß Todas Fungus Eater-Gesellschaft ein hierarchisch gegliedertes System darstellt. Toda gruppiert seine social urges in drei Kategorien: a) Helping urges Rescue Urge, Gratitude Urge, Love Urge b) Social System urges Protection Urge, Demonstration Urge, Joy Urge, Frustration Urge, Anger Urge, Grief Urge, Hiding Urge, Guilt Urge c) Status-related urges Confirmation Urge An dieser Stelle soll auf die Definitionen der einzelnen social urges nicht näher eingegangen werden. Es sei nur festgehalten, daß auch hier aus relativ einfachen Grundelementen, die dem Fungus Eater mitgegeben werden, eine sehr komplexe soziale Interaktion resultiert. 7.2.4. Die "cognitive urges"Die Ausführungen Todas zu den cognitive urges sind leider nur sehr unvollständig, da für sein Modell die social urges eine weitaus größere Bedeutung besitzen. Er beläßt es dabei, ausdrücklich nur einen cognitive urge zu benennen, den Curiosity Urge. Die Definition dessen, was einen cognitive urge darstellt, können wir einer anderen Stelle entnehmen (Toda, 1982, S. 151). Dort definiert Toda, allerdings in einem völlig anderen Zusammenhang, einen cognitive urge als einen gelernten a posteriori urge, den er auch als einen motivationalen Prozess bezeichnet. 7.3. Bewertung von Todas ModellDie Bedeutung von Todas Modell liegt in erster Linie darin, daß sein Fungus Eater ein autonomes Wesen ist, das in einer unsicheren und unvorhersagbaren Umwelt überleben muß und dazu ohne Emotionen nicht in der Lage ist. Der Fungus Eater ist zwar von Toda niemals in einem tatsächlichen Computermodell implementiert worden, besitzt jedoch alle Voraussetzungen dafür. Toda selber hat in einer Arbeit mit dem Titel "The Design of a Fungus-Eater" (Toda, 1982) erste Vorschläge zur Operationalisierung gemacht. Desweiteren demonstriert das Modell auf beeindruckende Weise, welche Komplexität sich in einem System entwickeln kann, das lediglich über eine Reihe von einfachen Grundfunktionen verfügt. Dieses "emergente" Verhalten ist es, das Todas Modell gerade heute wieder aktuell werden läßt. Pfeifer sieht die Bedeutung des Fungus Eaters auch in seiner erkenntnistheoretischen Dimension: Es fällt auf, daß Toda mit dem Begriff der urges recht großzügig umgeht. Das bestätigt sich auch, wenn man seine tentativen Vorschläge für Rule Observance Urges oder Ambition Urge betrachtet. Diese urges, die er mit Emotionen gleichsetzt, sind weitestgehend a priori von ihm definiert. Ein Grund für diese willkürliche Vorgehensweise mag darin liegen, daß er seine Theorie nicht in ein tatsächliches Computermodell umsetzte und so beobachten konnte, welche Emotionen sich aufgrund der Interaktion der wenigen Grundparameter entwickeln würden. Insofern ist Todas Modell in all seinen Details sicherlich kein brauchbares Vorbild für die Modellierung von Emotionen; seine Grundprinzipien eines emotionalen autonomen Agenten allerdings schon. Insbesondere unter dem Aspekt, daß die Künstliche Intelligenz in den letzten Jahrzehnten diesen Aspekt der Modellierung nahezu völlig vernachlässigte, kann der heuristischen Wert des Modells von Toda nicht hoch genug bewertet werden. Vor Zurück Inhalt
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